Über Renaissance 8

In der Stille ihres Ateliers, ähnlich vielleicht einer Stille, wie sie in den Werkstätten Alter Meister geherrscht haben mochte, arbeitete Anna Lena Straube über Monate hinweg an einer neuen Serie groß-formatiger Gemälde. Der Titel: Renaissance 8.

Renaissance: Bei diesem Wort denkt man unmittelbar an jene legendäre Epoche Europas, in der sich das Menschenbild, die Kunst, ja, der ganze Blick auf die Welt grundlegend veränderte. Eine Epoche der Sinne und der Entdeckungen. Der Euphorie. Der Wieder-geburt: Die Kunst der Antike, die Schönheit des menschlichen Körpers wurde wiederentdeckt und gepriesen, als wären diese eben erst und in ganzer Pracht auf die Welt gekommen. Oder wie es der Kulturhistoriker Johan Huizinga ausdrückte: „Die Renaissance ist das Aufkommen des Individualismus, das Erwachen des Schönheitsdranges, der Triumphzug von Weltlust und Lebensglück, die Eroberung der irdischen Wirklichkeit durch den Geist, die Erneuerung der heidnischen Lebensfreude, die Bewusstwerdung der Persönlichkeit in ihrem natürlichen Verhältnis zur Welt“.[1]

Schönheitsdrang, Individualismus, Weltlust: All dies findet sich in der Malerei von Anna Lena Straube wieder. Ihre Renaissance 8 ist inspiriert von den Bildern Botticellis, Michelangelos, und Tizians.

Acht, das ist in der christlichen Zahlensymbolik des Mittelalters ein Zeichen des Neubeginns, der geistigen Wiedergeburt und Symbol des Glücks. Ein stetiger Kreislauf aus Werden und Vergehen.

Grundlage der großformatigen Gemälde sind Fotografien, die die Künstlerin im Spätsommer 2020 anfertigte. Dafür traf sich Anna Lena Straube im Bürgerpark von Berlin Pankow mit befreundeten Künstlerinnen, Künstlern, Tänzerinnen, Tänzern, und Performancekünstlern. Acht Personen, Frauen und Männer, die sich in ihrem eigenen Tempo in der Kulisse des Parks frei bewegten. Sie interagierten wortlos miteinander. Eine sich langsam transformierende Gruppe von Individuen, die sich ihren Weg durch den Park erschließen. Wie eine lebendige Skulptur, Malerei in Bewegung. Ort und Zeit, innen und außen stellen in den Bildern keine Begrenzung dar, vielmehr fließt alles ineinander. Fasziniert von ihren Bewegungen, schloss sich die Künstlerin kurzzeitig der Gruppe an.

Anders als in Renaissancebildern, in denen jeder Figur eine besondere Rolle, ein bestimmter Platz in der Hierarchie zukommt, entscheiden Protagonistinnen und Protagonisten während der Performance selbst, welchen Platz sie einnehmen.

Während, wie im Traum oder im Unbewussten, die Gesetze unserer „realen“ Welt aufgehoben sind, verdichtet und potenziert sich innerhalb des Arbeitsprozesses das Kunstwerk: Die Performance von Künstlerinnen und Künstlern der Gegenwart werden in Fotografien festgehalten, die Fotomotive anschließend auf die Leinwand übertragen und mit Ornamenten und barock anmutender Strukturen kombiniert. Über alledem zelebriert die Malerin die Schönheit des menschlichen Körpers.

Eine Mischung aus Barock und Woodstock. Doch passt das Wort „fantastisch“ nicht zu dieser Serie.
Hier geht es nicht um Fantasy.

Schauen wir in unsere dingliche Welt, sehen wir, wie sich alles im Umbruch befindet. Vermeintlich unerschütterliche Gewissheiten verschwinden schneller als uns lieb ist. Ähnlich wie beim Übergang vom Mittelalter in die Neuzeit, befindet sich auch unser Weltbild im Wandel.

Anstelle von Euphorie blicken wir in einen tiefen Abgrund voller Ungewissheiten. Vielleicht trägt genau deshalb die Serie von Anna Lena Straube den Titel Renaissance 8.  Die Essenz jener Wiedergeburt, die wir in ihren Bildern sehen, ist erheblich älter als die Zeit des Barocks und der Renaissance. Sie reicht weit zurück in eine Vergangenheit, ohne hierarchische Ordnungssysteme, ohne menschgemachte Trennung von Natur und Kultur.

Die Bilder von Anna Lena Straube sind vielmehr als eine Art Traum zu verstehen. Eine Vision von einer Welt, wie sie sein könnte. War es nicht auch in der Stille der Scriptorien und Werkstätten, in denen Idee und Form der Renaissance ihren Anfang nahm, lange bevor sie an das Licht der Öffentlichkeit gelangte? Bevor der Geist dieser Zeit eine ganze Gesellschaft erfasste?

Jedem Anfang liegt ein Schauder, aber eben auch ein Zauber inne. Lassen wir uns vom Universum der Renaissance 8 inspirieren und in uns eine neue Lust am Leben entfachen. Die Welt ist in Bewegung. Merken Sie das auch?

Berlin, Dorothée Zombronner, Kulturwissenschaftlerin

Quelle:

Huizinga, Johan. Das Problem der Renaissance. Renaissance und Realismus. Wissenschaftliche

Buchgesellschaft, Darmstadt, 1952.

[1] Huizinga „Das Problem der Renaissance“ 1952 S. 5

 

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